Soll ich meinem Kind sagen, dass es hochbegabt ist?
Alles beginnt mit einer Vermutung: Die Eltern, Kindergartenpädagoginnen, Tanten, Omas, Lehrerinnen oder sonst irgendjemand beobachtet, dass ein Kind viel mehr kann und viel mehr weiß als die anderen Kinder in seinem Alter. Ob dieses Kind vielleicht hochbegabt ist?

Und da man in den letzten Jahren in den Medien immer wieder lesen konnte, dass hochbegabte Kinder Förderung brauchen, stehen die meisten Eltern früher oder später vor der Entscheidung, ob sie ihr Kind testen lassen sollen.
Hier stellt sich aber unweigerlich die Frage: „Wie sage ich es meinem Kind?“ Denn egal wie klein das Kind ist, irgendwie muss man ihm erklären, warum es zu einer völlig fremden Person gehen und dort bestimmte Aufgaben lösen soll.
Sinnvoll wird es hier sein, dem Kind ganz offen zu erklären, dass es manche Dinge schon besser kann als andere Kinder. Das kann das Kind ja auch im Alltag jeden Tag feststellen: Das hochbegabte Kindergartenkind kann schon viel weiter zählen als seine Freunde, es spricht besser und verwendet Wörter, die die anderen nicht kennen, es kann vielleicht schon lesen oder schreiben.
Und das Schulkind sieht, dass ihm die schulischen Aufgaben leichter fallen und es schneller fertig ist, schneller versteht – oder vieles schon kann oder weiß.
Auf dieser Grundlage lässt sich erklären, warum das Kind einen „Test“ machen soll. Obwohl der Test besser nicht als Test verkauft werden sollte sondern als Möglichkeit, „um zu schauen, was du kannst und weißt und welche Rätsel du lösen kannst“. Die meisten hochbegabten Kinder werden sich freuen und mit Freude und Begeisterung mitmachen, weil sie sowieso gerne Rätsel lösen.
Und dann kommt der Tag, wo die Eltern das Ergebnis schwarz auf weiß in der Hand haben: Das Kind ist tatsächlich hochbegabt. Und nun? Sollen wir das dem Kind wirklich sagen? Wird es da nicht arrogant werden?
Ganz abgesehen davon, dass sich das Kind sicher noch an den Test erinnern kann und natürlich wissen möchte, wie viel es dabei geschafft hat, ist das Kind ja sowieso hochbegabt, egal, ob es das Ergebnis kennt oder nicht. Das bedeutet, dass es im täglichen Leben immer wieder erkennen muss, dass es anders ist.
Nur weiß das Kind nicht, warum es anders ist. Es wird aber eine Erklärung für das Anders-Sein suchen – und die muss nicht positiv und schmeichelhaft sein. Wenn es zum Beispiel aufgrund seiner Sprache immer wieder von anderen Kindern missverstanden wird, kann das hochbegabte Kind glauben, zu dumm zu sein, um mit den anderen zu reden...
Daher halte ich es für sinnvoll und wichtig, dem Kind zu erklären, dass es hochbegabt ist. Nur dann kann es bestimmte Erfahrungen mit seiner besonderen Begabung in Zusammenhang bringen und hat eine plausible und richtige Erklärung.
Welche Worte man genau für diese Erklärung wählt, hängt natürlich vom Alter des Kindes ab: Entscheidend ist, ihm zu erklären, dass sein Gehirn besser und schneller funktioniert als das der meisten anderen Menschen. Und das ist genau so wie wenn ein Kind schneller laufen kann als die anderen oder besser singen oder besser fußballspielen.
Alles sind verschieden, aber jeder ist okay, so wie er ist. Und jedes Kind hat das Recht auf eine Umwelt, in der es seine Begabungen ausleben, nutzen und ausbauen kann ;-).




