Paula Bleckmann: Medienmündig.
ISBN: 978-3-608-94626-0


Für mich ein typisches „Ja, eh – aber“-Buch, bei dem ich mir ziemlich oft gedacht habe: Ja, ist eh wahr – aber welchen Einfluss hat das auf mein Leben?
Zum Beispiel ist mir klar, dass Zeiten, die vor dem Bildschirm verbracht werden, logischerweise dann bei anderen Aktivitäten fehlen. Auch die Freizeit eines Kindes ist begrenzt, gerade in der heutigen Gesellschaft mit Ballett-, Englisch- und anderen Kursen.

Ja, in sozial schwächeren Schichten verbringen die Kinder tendenziell mehr Zeit vor diversen Bildschirmen, was ihrer Entwicklung nicht zuträglich ist. Ob daraus aber in direkter Ursache schlechte Schulnoten resultieren, wage ich zu bezweifeln.
Ja, ein Kleinkind oder ein junges Kindergartenkind haben wohl keinen oder nur wenig Nutzen vom Fernsehen. Und klar: Kein Kind wird einen Nachteil davon haben, wenn es vor der Schule noch nicht gelernt hat, mit einem Computer umzugehen. Das lernt es später immer noch.
Und ja: Es gibt Studien, die einen Zusammenhang zwischen TV-Konsum und Übergewicht nachwiesen, und andere, die einen Zusammenhang zwischen Aggressionen und Fernsehen/ Computer spielen zeigen. "Fernsehen macht dick und dumm"- kennen wir alle zur Genüge.

Obwohl das Buch keine „Total-Abstinenz“ fordert, schrammt es für mein Gefühl sehr nahe dran.
Was so gut wie nie vorkommt, ist der Nutzen. Den gibt es maximal zwischen den Zeilen. Das finde ich schade, und es geht an der Realität vorbei. Sich gemeinsam mit einem kleinen oder größeren Kind den einen oder anderen Kurzfilm anzuschauen (und da macht es wenig Unterschied, auf welchem Medium) kann und darf ein nettes Erlebnis sein. Zum Beispiel, wenn die Mama erzählt, dass auch sie als Kind schon die Barbapapas gesehen hat. Da braucht mir keiner erzählen, dass das schädlich ist.
Genau werden sich die meisten Kindergartenkinder an Sendungen à la „Sendung mit der Maus“ oder „Willi will´s wissen“ erfreuen. Auch das ist ok und bedeutet nicht, dass sie der TV-Sucht verfallen sind (oder verfallen werden).
Auch gegen das eine oder andere Computerspiel ist wohl nichts einzuwenden; und auch nicht gegen den Einsatz des Computers in der Schule – dort, wo es sinnvoll ist (z.B. um jedem Kind zu ermöglichen, in seinem Tempo lesen zu lernen und zu üben).

Was problematisch ist, ist die „Dauerberieselung“ mit Medieninhalten (dazu zählt für mich auch das Radio oder „Hintergrundmusik“ in Dauerschleife) – aber das kommt im Buch kaum vor. Was sehr problematisch ist, ist (zu) junge Kinder (zu) lange alleine vor einem Bildschirm sitzen zu lassen. Aber das war wohl allen, die diese Buch kaufen und lesen, vorher auch schon klar.

Schade ist, dass die Kernbotschaft – und die unterschreibe ich zu 100% - zwischen diesen allseits bekannten (und noch dazu schlecht untermauerten) Argumenten untergeht: Kinder brauchen das echte Leben, also die direkte Teilhabe an der Welt: laufen, klettern, turnen, basteln, malen, in Regenlacken springen, Lärm machen, sich verkleiden, mit Bausteinen spielen, Bücher anschauen usw. Und Kinder sollten diese Welt gemeinsam mit ihren Eltern und anderen vertrauten Erwachsenen erleben. Und zwar so, dass die Erwachsenen tatsächlich dran teilnehmen und nicht einstweilen SMS schreiben, Fotos machen oder das Kind filmen.
Wenn Kinder das in ihrer Kindheit ausreichend erfahren können (und das geht naturgemäß mit weniger Bildschirmzeit besser), dann sind sie in großem Maß schon vor der „Mediensucht“ und vielen anderen Gefahren geschützt ;-).

PS: Ich finde es auch erstaunlich, dass man im Jahr 2016 ein Buch über Medien wieder auflegt, in dem das Wort Smartphone nicht vorkommt. Dort liegt für mich noch eine viel größere „Suchtgefahr“ - in diesem Format ist der Bildschirm immer verfügbar, man kann alles plötzlich nur noch mit einer App machen und fast alle 10-jährigen Kinder besitzen bereits eines. Dagegen ist der gute, alte Fernseher ein Klacks.
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