Wie kann eine Maltherapie mit einem Kind ablaufen?

Ich habe diesen Verlauf ausgewählt, weil diese Therapie fast ohne Umwege direkt einen einzigen Weg verfolgt - die Stärkung des Selbstbewusstseins.
Für mich werden hier die "Selbstheilungskräfte" der Seele gut sichtbar.
Meine Aufgabe war es, einen sicheren Rahmen und gute Bedingungen zu schaffen, in denen sich Julia weiter entwickeln kann.

Natürlich kann eine Therapie auch ganz anders verlaufen - das hängt immer von den beteiligten Personen und vom konkreten Problem ab.
Zum Schutz der Privatsphäre wurden Namen und persönliche Details geändert.

1. Stunde: Erstgespräch mit Kind und Eltern: Im Erstgespräch verschaffe ich mir einen Überblick über die aktuelle Situation und das Anliegen. Dazu spreche ich mit allen Anwesenden auch alleine, um größtmögliche Offenheit zu ermöglichen.
Außerdem erfrage ich grundlegende Informationen über die Familie.
Grund des Kommens war Julias große Schüchternheit, die sie in ihrem Leben einschränkte, außerdem war v.a. die Mutter durch heftige Wut- und Trotzanfälle belastet.

Ich erkläre Julia, warum sie zur mir zur Maltherapie kommen soll und was wir dabei machen werden. Wichtig ist, dass das Kind bereit ist, mitzumachen.

2. Stunde, 3. Stunde: Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung zum Kind, „Familie als Tiere" zum Verständnis der Familienstruktur. Bei Julia entstand im Anschluss an die „Familie in Tieren" ein Selbstportrait, das sie als „Katze Julia" darstellt. Gemeinsam überlegen wir, was die Stärken dieser besonderen Katze sind - und siehe da, die Katze Julia kann sprechen.

4. Stunde: „Was macht die Katze Julia heute?“ – das ist der Malauftrag an Julia.


Die Katze lebt in der Welt einer Hauskatze mit Garten, Spielzeug, Futter. Auf den ersten Blick wirkt das schön und ordentlich. Auffällig ist aber, dass keine anderen Tiere oder Personen dargestellt werden. Außerdem sind die Einzelheiten nebeneinander angeordnet, ohne sichtbaren Bezug zueinander. Mir sticht der Baum ins Auge, der hilflos seine Äste = Hände auszustrecken scheint. Julia verwendet viel Zeit, um die Katze zu malen. Jeder Streifen wird ganz ordentlich neben den anderen gesetzt. Ihr ist es wichtig, es richtig und schön zu machen – so wie schüchterne Menschen eben viel über ihren Eindruck auf andere Menschen nachdenken. Im Malprozess malt Julia auch mit dem Fingern, der direkte Kontakt zu Farbe und Papier gefällt ihr.

5. Stunde: Ich greife Julia Idee auf und lasse sie mit Fingerfarben malen. Sie malt ohne konkreten Auftrag das nebenstehende Bild.


Die menschliche Figur kommt erst ganz am Schluss dazu - sie drückt sich zwischen und Schaukel. Ich denke, dass Julia sich in der Figur selbst dargestellt hat. Auffällig sind die kurzen Arme - die deute ich als Zeichen für Unsicherheit beim konkreten Handeln, auch generell als "Selbstunsicherheit".

Auch hier ist die Figur ganz allein im Bild, ohne andere Menschen oder Tiere. 

Dann male ich mit ihr abwechselnd, und es entsteht dieses Bild:


Dieses Bild geht über vor Leben, vor Lebewesen, vor Energie: Schnecken, Hasen, Schmetterlinge, Vögel, Äpfel - alles was ich beginne, bzw. ins Bild bringe, greift Julia sofort begeistert auf.

Für mich ist es Julias Wunschbild - so hätte sie es gerne, so eine Fülle würde sie gerne in ihrer Seele spüren.

6. Stunde: Ich erkläre Julia, dass sie an ihrem Bild aus der 4. Stunde weitermalen soll: „Was macht die Katze Julia heute?"


Hier übt die Katze Julia tanzen, weil sie bei einer Aufführung tanzen soll. Sie übt ganz viel, und ganz allein mit ihrem Radio. Und vergisst alles um sie herum.


Nun, ganz allein ist sie nicht: eine Schnecke und eine Maus - beides sehr kleine, ungefährliche Tiere leben im Garten. Diesen kleinen Tieren fühlt sich die Katze Julia gewachsen.


In diesem Bild greift Julia spontan ihr Thema auf:  wer schüchtern ist, zeigt sich nicht gerne vor anderen. Aber hier wird schon für den Auftritt geübt - Julia drückt ganz klar ihren unbewussten Wunsch nach Entwicklung aus.


Julia malt hier die Katze, ihr Ebenbild, sehr sorgfältig - auch das ist gewissermaßen typisch: schüchterne Menschen denken viel darüber nach, welchen Eindruck sie auf andere machen.

7. Stunde: Wir malen weiter bei der Katze Julia: Julia bringt spontan das Thema Ostern ins Bild ein - ein richtiges Gewimmel von Osternestern und Eier entsteht.


Viele Ostereier und ein Osterhase, der auf dem Baum sitzt. Julia traut sich, ihre vielen Ideen sichtbar werden zu lassen.


Hier wirft die böse Wolke alle Ostereier zu Boden, um sie zu zerstören.


Beim Malen ist interessant, dass Julia das, was sie beim letzten Mal gemalt hat, mit ins Bild einbezieht. Sie malt gewissermaßen in die Vergangenheit (nach rechts) zurück.


Ich glaube, dass Julia hier neagtive Ereignisse sozusagen "gesammelt" verarbeitet und sie wie Ostereier zerschellen läßt.


Heute möchte Julia gar nicht aufhören mit dem Malen, sie malt bis zur letzten Minute und bis alle Farbe auf ihrer Palette verbraucht ist.

8. Stunde: Heute malt Julia einen Vergnügungspark.


Dabei erzählt sie, dass es Attraktionen für sehr mutige Katze gibt. Diese Attraktionen bieten aber immer auch eine „weniger gefährliche" Variante für nicht ganz so mutige Katzen. Die Katze Julia gehört aber zu den mutigen.


Julia hat ganz viele phantasievolle Einfälle für den Vergnügungspark, die schnell das Blatt „von oben bis unten" füllen. Julia fühlt sich sicher genug, um ihre Ideen sichtbar zu machen und so einen Teil von sich selbst zu zeigen. Sie kann ihre Möglichkeiten voll ausschöpfen.

9. Stunde: Aus einem aktuellen Anlass greift Julia das Schwimmbad auf - auch hier geht es wieder um Mut.


Diesmal sind keine Katzen im Bild - ein Schritt zurück, Julia zieht sich wieder ein bisschen zurück, sie fühlt sich nicht sicher genug, um sich selbst - als Katze - dazustellen.

10. Stunde: Die Katze Julia bekommt Besuch - zum ersten Mal malt Julia andere Katzen - insgesamt werden es 9 große und kleine Katzen!!! Mit dabei ist auch die Katzenlehrerin.


Mich beeindrucken Julias Ideen: Z. B. fliegen große Zuckerln durch die Luft, die dann wie ein Feuerwerk kleinere Zuckerln zu Boden regnen lassen. Außerdem gibt es Konfetti, das sich von selbst wieder aufräumt!  


Für mich ist dieses Bild der Wendepunkt: Jetzt fühlt sich die Katze Julia sicher genug, um anderen Katzen zu begegnen.


Im Vergleich zu den ersten Stunden verwendet Julia immer weniger Aufmerksamkeit, um "ihre Katze" zu malen.


Dafür kann sie sich der Umgebung zuwenden, und diese mit viel Schwung und Phantasie aufs Papier bringen.


Julia ist auch mir gegenüber viel freier und entspannter geworden. Sie malt und spricht mit viel Lebendigkeit von ihren Einfällen.


Auch Julias Mutter berichtet, dass sie zu Hause viel ausgeglichener und fröhlicher ist.

11. Stunde: Die Tanz-Aufführung


Hier „endet" der Prozess, der in der 6. Stunde begonnen hat: Die Katze Julia hat genug geübt - jetzt kann sie sogar vor den anderen Katzen auf der Bühne tanzen.


Julia malt der tanzenden Katze eine Krone: In vielen Märchen steht dieses Symbol für Selbstbestimmung, für das Bewältigen einer (Entwicklungs-)Aufgabe!

 

Ingesamt entstand ein fast 10m langes Bild von der Katze Julia!

12. Stunde, 13. Stunde: „Mein Foto-Buch"

14. Stunde: Umschlag für das Buch
Um Julia ein Gefühl für die Fülle ihrer Seele und ihres Lebens zu geben, gestalte ich mit ihr ein Buch mit Fotos von schönen Augenblicken im letzten Jahr (Weihnachten, Geburtstag...). Ich ermuntere sie, dieses Buch über die Ferien weiter zu führen.

15. Stunde: Abschluss


 Julia hat sich gewünscht, nochmals etwas zu malen. Natürlich darf sie das Thema selbst aussuchen. Sie malt ein Bild von der Zahlenschule - statt Menschen gehen dort Zahlen zur Schule.

Durch diese Themenwahl wird sichtbar, dass der Weg der Katze Julia zu Ende ist, das Ziel ist erreicht - Julia kann sich frei etwas Neuem zuwenden.

Als Therapeutin habe ich Julia einerseits den "materiellen" Rahmen andererseist aber auch den psychischen Rahmen gegeben, in dem sie sich weiter entwickeln konnte.
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