Das Genie (Cäsar Zehrer)
Manchmal sind die zufällig gefundenen Bücher die wahren Schätze. Ich war schon auf dem Weg zum Ausgang der Bibliothek, als mir ein Buch gewissermaßen in die Augen sprang. Ein Blick auf den Text hinten auf dem Buch (wie heißt dieser Text eigentlich? Komisch, ich liebe Bücher leidenschaftlich und weiß doch so wenig über sie): Die Geschichte eines Wunderkindes. Muss ich lesen, eh klar.
Und ich war quasi von der ersten Seite an fasziniert und gefesselt. Spannend, flüssig und plausibel wird die Geschichte von William Sidis bzw. seines Vaters und seiner Familie erzählt. Alle sind sie wohl hochbegabt, und William wird von der ersten Stunde seines Lebens laut Ansicht seines Vaters optimal gefördert.
Die Geschichte kommt nicht ohne Klischees aus, das tut der Lesefreude jedoch keinen Abbruch, denn der Text ist niemals platt oder banal: Vater wie Sohn scheinen unfähig zu wahren Gefühlen, zu Zärtlichkeit und Liebe, William eckt immer wieder an in den unterschiedlichen Gemeinschaften, in denen er leben soll. Doch sind viele dieser Schwierigkeiten und Missverständnisse der Tatsache geschuldet, dass er immer der jüngste ist und dass sein Umfeld so gut wie nie seinen intellektuellen Möglichkeiten gerecht wird. Besonders gefallen hat mir auch jene Episode, in der William nach einigen Tagen in einem neuen Job bereits umfassende Ideen zur Steigerung der Effektivität hat. Er bekommt die Möglichkeit, diese dem Chef vorzutragen – doch wird er nicht befördert sondern entlassen, weil er auch gleich einen Vortrag über soziale Gerechtigkeit halten muss. Seine Ideen werden übrigens trotzdem umgesetzt…
Irgendwo in der Mitte des Buches habe ich den Autor gegoogelt – und musste zu meinem Erstaunen feststellen, dass er kein Psychologe ist. Und bei dieser Gelegenheit entdeckte ich, dass die Geschichte keine Fiktion ist sondern auf dem Leben William Siddis beruht. So wird manches, was ich sonst als überzeichnet, als übertriebenes Klischee bezeichnet hätte, in ein anderes Licht gerückt: Zum Beispiel die Tatsache, dass William Straßenbahnen liebt…
Auf der entsprechenden Website nachzusehen, habe ich mir bis zu Ende des Buches verkniffen. Es sollte ja spannend bleiben – und das blieb es auch, obwohl das Ende (siehe Klischees) nicht überraschend ist.
PS: Der Text auf der Rückseite des Buchs wird als „Klappentext“ bezeichnet – weil / auch wenn das Taschenbuch keine Klappen hat…
PPS: Da ja die amerikanische Presse und Öffentlichkeit regen Anteil am Sidis Leben genommen hat, frage ich mich, ob er nicht das „Vorbild“ für manche Klischees ist – z.B. für die Vorstellung, das hochbegabte Männer Straßen-/Eisenbahnen lieben…




